„Der Tanz ist ein Gedicht
und jede seiner Bewegungen ist ein Wort.“
Mata Hari
Tanzen! Welch ein Vergnügen! Der fremde junge Mann, der mich wenige Minuten zuvor zum Tanzen aufgefordert hatte, stellte sich als Walter vor und führte mich schwungvoll im Walzer- und Tangoschritt durch den überfüllten Saal. Er war ein blendender, gutaussehender Tänzer. Für diesen Schulball hatte sich der Festsaal des Gymnasiums durch üppige Dekoration in einen pulsierenden Tanzsaal verwandelt, in dem sich Burschen und Mädchen vergnügt im Kreise drehten.
Tanzen war für mich in jungen Jahren das größte Vergnügen. Diese Leidenschaft wurde im Elternhaus geboren. Die Eltern, beide begeisterte Tänzer, schwebten, sobald alte Schlager der 50er Jahre durch den Äther schallten, durch das sechs Meter lange Vorzimmer unseres großen Hauses. In einer Ecke stand ein für die Zeit typisches Ensemble: Ein kleines Nierentischchen und drei, mit grünem Kunstleder bespannte Hocker. Dort saß ich als Kind und sah den Eltern zu, die sich, vergnügt tanzend, verliebt anlachten. Auch Partys gab es oft, viel wurde in unserem Haus gelacht und getanzt. Mir als Kind vermittelten die Eltern nonverbal: Tanzen macht glücklich!
Im Schultanzkurs hatte ich die Grundschritte erlernt, Vater lehrte mich die klassischen Figuren.
An diesem Ballabend stellte Walter nach wenigen Tänzen fest, die Tanzfläche sei zu überfüllt, wir hätten keinen Platz, um elegant Figuren tanzen zu können. Kurz entschlossen nahm er mich an der Hand und führte mich heimlich hinauf in den ersten Stock, wo sich über dem Saal eine große Terrasse befand. Welch verrückte Idee! Natürlich standen wir vor verschlossener Terrassentür.
Walter zögerte nicht lange, er öffnete das große Gangfenster, hob mich mit Schwung hoch und setzte mich im langen Kleid und Stöckelschuhen (so hießen damals die High Heels), vorsichtig auf der Terrasse ab. Mit einem eleganten Sprung folgte er im schwarzen Anzug, weißem Hemd und schwarzer Fliege.
Die Kühle der sternklaren Nacht im März spürten wir nicht, wild tanzten wir die Modetänze von damals, den La Bostella, den Letkiss und Discofox. Walter hatte ebenfalls im Tanzkurs den Rock´n´Roll, Twist, Boogie und Foxtrott erlernt. Das gesamte Repertoire der Tanzschule wurde an diesem Abend von der Band gespielt, die Musik drang laut zu uns herauf. Auf dieser riesigen Terrassen-Tanzfläche konnten wir all diese Tänze und einstudierten Figuren ausladend entfalten. Unsere Tanzbewegungen waren harmonisch, fast synchron, als würden wir seit Jahren miteinander tanzen. Als dann bei einem Slowfox der Mond hinter einem Hügel auftauchte, war die Stimmung perfekt, um sich zu verlieben. Obwohl unsere Gesichter völlig erhitzt vom Zauber dieser Nacht waren, begann ich zu frösteln. Wir kehrten auf gleichem Weg in das Schulgebäude zurück. Erst jetzt bemerkten wir, dass uns die Kleidung feucht am Rücken klebte.
Walter brachte mich nach Hause. Er küsste mich schüchtern auf die Wange und bat um meine Telefonnummer.
Der Tanz ins Glück endete nach Jahren intensiven Tanzvergnügens ungewöhnlich schmerzhaft.
Tränen, Abschied, Schmerz, Liebeskummer ¬ wie dies meist der Fall ist, wenn eine Liebe zu Ende geht.