2020 - 60 JAHRE PILLE – ein RÜCKBLICK
© Gerlinde Pauschenwein
Der Siegeszug der Pille war nicht aufzuhalten. Die Wirkung dieses hormonellen Verhütungsmittels führte in meiner Generation zu einer tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaft. Mit diesem kleinen Wunderding war es den Frauen möglich, sorgenfreien Sex zu genießen, Lust ohne Angst vor einer Schwangerschaft ausleben zu können.
Die heutigen jungen Frauen können sich gar nicht vorstellen, was diese Angst bedeutete.
Ich bin am Land in einem kleinen, konservativen Dorf aufgewachsen. Meine Mutter, von einer katholischen Weltanschauung geprägt, gab diese Denkweise an mich weiter. Ein Dogma lautete: Kein Sex vor der Ehe! Uneheliche Kinder galten als lebenslanger Makel, voreheliche Intimität als verwerflich. Ohne Sex keine ungewollte Schwangerschaft -so einfach lautete die Regel der Katholiken! Somit konnte das hohe Ansehen kleinbürgerlicher Familien im Dorf erhalten bleiben.
Mir war sogar strengstens untersagt, das >BRAVO< zu lesen, damit ich nicht >verdorben<werde.
Die Denkmodelle der Flower-Power Bewegung, dieser großen Revolte der Jugend, drangen bis in unser kleines Dorf vor. Zum Leidwesen meiner Mutter begehrte ich gegen alle sinnlosen Regeln auf.
In der Modeschule, später in der PÄDAK, borgte ich mir die Kultzeitschrift Bravo in den Pausen. Ich nähte mir Hippiekleidung, weite Schlaghosen, lange Volant-Röcke, kaufte Schlapphut und lange Ketten. Auch das erste bunte "Minikleid" kreierte ich und machte meinen ersten Urlaub ohne Eltern in Sizilien. Diesen verdiente ich mir als Studentin an der PÄDAK in Wien, indem ich tolle Modelle für einige Lehrerinnen nähte. Mit einer Studentenkarte von Interrail fuhr ich mit einer Jugendgruppe los. Selbstbewusst vollzog ich die ersten Schritte in ein selbst bestimmtes Leben.
Ein Jahr nach der ersten Enttäuschung hatte ich mich wieder verliebt. Nun wollte ich die Pille verschrieben haben. Da stieß ich auf eine unerwartete Hürde. Ich dachte nicht, dass der streng katholische Gynäkologe, gleichzeitig der Arzt meiner Mutter, mir die Pille aus moralischen Gründen nicht verschreiben würde. Papst Paul VI verurteilte 1968 die Geburtenkontrolle durch hormonelle Verhütungsmittel. Der Arzt fragte, ob ich vorhabe in absehbarer Zeit zu heiraten. Ich verneinte, ich wollte ja meine Ausbildung fertigmachen. Er meinte, da ich weder >verlobt< noch großjährig (damals mit 21) sei, würde er nur mit dem Einverständnis meiner Mutter das Rezept aushändigen. Als ich mich darüber empörte, erklärte er, die Nebenwirkungen seien viel zu gravierend, dies könne er nicht verantworten. Außerdem, ein Mädchen, das sonntags in die Kirche geht, nimmt keine Pille! Es klang aus seinem Mund wie ein Dogma.
Wütend verließ ich die Ordination. Erst als ich einige Monate später großjährig war, gelang es mir bei einem anderen Arzt die Pille zu bekommen.
Die ersten Pillenpräparate waren hoch dosiert und steigerten, wie sich später herausstellte, tatsächlich das Krebs - und Thromboserisiko. Mit C. Djerassis Erfindung begann die sexuelle Revolution. Wir Frauen hatten die Entscheidung darüber, ob und wann wir ein Kind bekommen wollten.
Das Rollenverständnis der Frau wurde neu geprägt. Erst 1975 wurde der Schwangerschaftsabbruch bis zum dritten Monat entkriminalisiert. Das Recht der Frauen über den eigenen Körper wurde festgeschrieben!
Nicht alle Männer jener Generation waren darüber glücklich.
Für Mädchen brachte die Pille Freiheit. FREIHEIT - das höchste Gut!