Aus dem Zyklus: EIN TRAUMMANN AUS DEM CYBERSPACE

Eine wahre Begebenheit...

 

DER PSYCHIATER

oder Kurts Vorliebe für Studentinnen

 

Es gibt kaum etwas im menschlichen Dasein,

das dem Menschen so sehr und in einem solchen Ausmaß ermöglichte,

 Distanz zu gewinnen,

wie der Humor.

Viktor Frankl  (1905 - 1997),

 

 

 

Werfen wir gemeinsam einen Blick in das Profil „Genießer“ ihr könnt ihn immer noch finden. Eingeloggt ist „ KUBI99“ unter der Profilnummer 495 304, ich erhielt die Nummer 587 112. Was glaubt ihr, wie viele Mitglieder man in diesem Forum zählt? Wahrscheinlich weit über 1 Million.

 

Mich interessierte das Profil aus mehreren Gründen. Einerseits gab der Mann als Alter „59“ an, das ist meist ein Hinweis darauf, dass der User die „60“ weit überschritten hat. Andererseits outete er sich als Arzt und Uniprofessor, was in einem derartigen Forum vollkommen ungewöhnlich ist. Er also war Arzt und Professor an einer Uni. Ein Skorpion-Mann ohne Bekenntnis, mit Vorliebe für Stefan Zweig, Franz Werfel, Henry Miller und erklärter Musikliebhaber. Bach, Vivaldi, Beethoven, Mozart nannte er als seine Lieblingskomponisten, auch bei den Sportarten stimmten wir überein. Er war kein Mann, der Tennis spielte, mit Inlineskaten angab oder gar den Pilotenschein besaß. Der Herr Professor gab sich mit so einfachen Sportarten wie Schwimmen, Radfahren und Wandern zufrieden - altersbedingt?

 

Dafür aber suchte er eine Affäre mit einer Frau, die höchstens zwischen 30 und 40 Jahre alt sein sollte.

 

Ich schicke voraus, zwischen dem Herrn Professor und mir ist es zu keinem persönlichen Kennenlernen gekommen.

 

Wie viele Studentinnen kannten ihn, den Arzt und Hochschulprofessor von kurzen intimen Stunden?

 

Mit meinem Alter von 50+ kam ich für diesen Akademiker nicht mehr in Frage. Welche Arroganz in den wenigen Zeilen allen Frauen gegenüber in seinem Profil zum Ausdruck kam, die die Vierzig überschritten hatten:

 

>Hallo! Schön, dass Du mich gefunden hast. Wenn Dir mein Slogan GEIST – HERZ - EROS gefällt, wenn Du phantasievoll, sinnlich, schlank und nicht älter als 35 bist, mit einem makellosen Körper, dann melde Dich. Ich habe Zeit für Gefühle und suche eine Partnerin für all die schönen Dinge, die erst zu zweit Sinn ergeben <.

 

Was würde er antworten, wenn ihm eine 50+ Jährige schreibt, dachte ich. Ich beschloss, den Herrn zu testen.

 

Mein Schreiben an den User Nr. 495 304 um 23:13 Uhr lautete:

Verehrter Herr Doktor!

 

Auf Grund Ihres Profils hat eine jung gebliebene schlanke fünfzigjährige Frau mit Herz, Geist und viel Sinn für Eros offensichtlich keine Chancen mehr. Habe ich da etwas falsch verstanden? Ihre Antwort auf meine Frage wäre sehr interessant für alle 55+ jährigen! Darf ich darauf warten?

 

Viele liebe Grüße und Erfolg bei Ihrer Suche nach der Jugend,

wünscht Isabel

 

Postwendend kam am folgenden Tag die Nachricht um 12:26

 

Liebe Isabel,

 

natürlich hätte eine jung gebliebene 50-jährige Frau mit Herz, Geist und viel Sinn für Eros viele Chancen. Nur wünsche ich mir im Grunde keine ernste Verbindung, da ich gebunden bin, sondern lediglich eine prickelnde, unverbindliche, erotische Beziehung. Darüber hinaus suche ich eigentlich nicht, sondern lasse mich bloß finden!

 

Mit lieben Grüßen

Kurt

 

Ich hatte keine Zeit zu antworten, weil ich zu einem Seminar nach Salzburg fahren musste.

 

 

 

Am Montag kehrte ich zurück und schrieb um 23:35

 

Lieber Kurt!

 

Auf Grund Deiner Zeilen vom 25. stellt sich für mich die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, einen Mann wie Dich für eine Beziehung zu finden. Vielleicht sollte ich mich auch auf die Suche nach einer prickelnden, unverbindlichen, rein erotischen Beziehung mit einem jungen Mann machen. Denn wenn ich das Fazit aus meinem bisherigen Leben ziehe, war die schönste Beziehung jene, die unverbindlich und prickelnd begonnen hatte – dies liegt allerdings mehr als 25 Jahre zurück und dauerte nur vier Jahre, weil der Mann, um 23 Jahre älter als ich, an einem Herzinfarkt verstorben ist.

 

Bisher bin auch ich in diesem Forum den einfacheren Weg gegangen und habe mich finden lassen. Bloß EIN Mann, jener mit der Nummer 245 360 könnte meinen Ansprüchen gerecht werden.

 

Sollte ich mich vielleicht doch auf die Suche nach diesem gebildeten Mann machen, der so wie ich klassische Musik und Literatur liebt?

 

Liebe Grüße Isabel

 

 

 

KUBI99 schrieb noch Dienstagnachmittag zurück:

 

Liebe Isabel,

 

warum versuchst Du es nicht? Die Auseinandersetzung mit einem Menschen ist, salopp ausgedrückt, wie die Auseinandersetzung mit einem Apfel. Du kannst den Umgang mit Äpfeln vermeiden. Wenn Du es aber wissen willst, wie ein Apfel aussieht, musst Du ihn Dir ansehen. Und wenn Du schließlich auch wissen willst, wie er schmeckt, dann musst Du wohl oder übel auch hineinbeißen.

 

Oder bist Du in Deinem Alter zu einer ungezwungenen Begegnung emotional nicht mehr fähig?

 

Gruß Kurt

 

 

 

Noch in der Nacht tippte ich etwas verärgert über die Anspielung auf mein Alter:

 

Betreff APFEL

 

Lieber Kurt!

 

Was aber soll ich tun, wenn es ein saurer Apfel ist, in den ich beiße? Von dieser sauren Sorte habe ich genug gekostet – jetzt wäre es an der Zeit, einen jungen, saftigen, erfrischend, bekömmlichen Apfel zu finden. Ich möchte nur mehr genießen!

 

Aus Deinem letzten Satz spricht wieder einmal der „liebe Gott in Weiß“, nur weil man nicht jeden alten Apfel kostet, muss man noch lange nicht beziehungsgestört sein.

 

Außerdem sollten die Rollen nicht vertauscht werden, hat nicht Eva im Paradies den Apfel an Adam weitergereicht?

 

Süß – saure Grüße

 

Isabel

 

 

 

KUBI99 schrieb am Do. um 10: 03

 

Liebe Isabel!

 

Da muss ich Dir durchaus Recht geben. Es ist immer ein Risiko, herauszufinden, ob ein Apfel sauer ist oder nicht! Aber ihn bloß anzuschauen ist praktisch risikolos.

 

Übrigens, der letzte Satz stammt nicht vom Gott in Weiß, sondern entsprang der täglichen Erfahrung eines Psychiaters und Psychotherapeuten. In diesem Sinne sende ich Dir liebe Grüße Kurt

 

 

 

Isabel an Kurt, Do. um 23:45

 

Lieber Kurt,

 

ich war immer risikofreudig, außerdem hast Du Recht, ansehen bedeutet kein Risiko! Dass Du vom Baum der Verführung naschen willst, ist mir schon klar, sonst wärst Du ja nicht im Internet zu finden. Mein Problem ist einerseits: Wie kommt Eva an Adam heran, wenn sie weder Identität noch Telefonnummer preisgeben will? Paradies für ein erstes Treffen gibt es leider keines mehr. Andererseits entspreche ich ja nicht dem Anforderungsprofil, ich bin leider keine junge Frau mit Ödipuskomplex und auch nicht gertenschlank.

 

Allerdings bin ich phantasievoll, sinnlich und es vergeht kein Tag an dem ich nicht Mozart, Beethoven, Tschaikowsky oder Vivaldi höre.

 

Schnitzler, der wie kein anderer die menschliche Seele treffend beschrieben hat, liegt mir näher als Zweig und Werfel, auch liebe ich Lyrik von Rilke ganz besonders.

 

Am wichtigsten ist mir der Umgang mit Menschen. Dass Du Psychiater bist, war nicht schwer zu erraten, bei unserem Treffen im Paradies erkläre ich Dir, woran auch andere kluge Frauen dies erkennen könnten.

 

Lieber Kurt, kennst Du ein Paradies, wo wir einander treffen können, damit ich Dir einen Apfel bringen kann?

 

Wie wäre es mit Deiner Telefonnummer, wenn ich darum bitte? Würde mich sehr freuen!

 

Liebe Grüße

 

Isabel

 

 

 

Natürlich war ich neugierig, ob es mir gelingen könnte, einen prominenten, angesehenen Mann soweit aus der Reserve zu locken, dass er einer Frau, von der er so gut wie nichts weiß, seine Telefonnummer bekannt gibt.

 

Es klappte nicht sofort.

 

 

 

KUBI99 an Isabel Fr. 7: 30

 

Liebe Isabel!

 

Dein Problem ist leider nicht lösbar, ich kann Dir meine Telefonnummer nicht geben, bevor ich nicht weiß, wer Du bist. Auch ich kenne kein Paradies, das man unerkannt betreten kann.

 

Wie wäre es, wenn Du unerkannt spät abends in meine Ordination kämst? Ob mit oder ohne Apfel bleibt Dir überlassen.

 

Liebe Grüße Kurt

 

 

 

Isabel an Kurt, Fr. 7:40

 

Lieber Kurt!

 

Welch grandioser Vorschlag! Legt Deine Ordinationshilfe von allen Deinen Internetbekanntschaften eine Kartei an? Das Internet bietet sicher ein breites Spektrum an Menschen, vielleicht auch an jungen Frauen, die als Klienten oder Patienten in Frage kämen. Habe ich nicht Recht?

 

Wie soll ich Deine Ordination finden, wenn ich keine Telefonnummer und keinen Namen von Dir habe? Oder nur eine Vermutung, wer sich hinter KUBI verbergen könnte.

 

Gruß Isabel

 

 

 

KUBI99 an Isabel Fr. 12:41

 

Liebe Isabel,

 

vielen Dank für Deine E-Mail. Ich habe Dir, wenn auch nicht ganz ernsthaft, vorgeschlagen, meine Ordination aufzusuchen, weil ich keine andere Alternative sehe. Übrigens, ich suche im Internet nicht nach Patientinnen, ganz im Gegenteil, ich wäre heilfroh und hätte erheblich mehr Zeit für mich, wenn ich ihre Zahl reduzieren könnte. Da fällt mir noch ein, wenn Du mich anrufst, kannst Du ja weiterhin anonym bleiben, so lange, bis Du alles über mich erfahren hast, was Du wissen willst. Ganz fair finde ich es allerdings nicht! Wäre dies dennoch eine Möglichkeit?

 

Liebe Grüße Kurt

 

 

 

Isabel an Kurt, Fr. 17:43

 

Lieber Kurt!

 

Danke, es freut mich sehr, dass es doch noch eine Chance auf ein Kennenlernen gibt. Ein Telefongespräch wäre sicher sehr aufschlussreich.

 

Morgen habe ich beruflich am Nachmittag in Salzburg zu tun, komme spätestens Montag wieder nach Wien. Falls ich Deine Nummer vorfinde, will ich mich melden. Natürlich werde ich nach einem Telefonat, falls wir einander sympathisch finden und ein Treffen vereinbaren, nicht länger anonym bleiben.

 

Liebe Grüße

 

Isabel

 

 

 

Die Antwort kam innerhalb der nächsten halben Stunde, ich wollte dennoch bis Montag mit dem Telefonat warten.

 

KUBI99 an Isabel Fr. 18:02

 

Liebe Isabel,

 

meine Nummer lautet: 06../ 476 74 98

 

Erwartungsvolle Grüße Kurt

 

 

 

Isabel an Kurt Fr. 23:30

 

Lieber Kurt!

 

Komme soeben von einem Opernbesuch nach Hause. Zu meiner Freude und großen Überraschung finde ich doch tatsächlich Deine Nummer. Fahre morgen sehr früh nach Salzburg und melde mich verlässlich Montagabend.

 

Vielleicht sollten wir uns gemeinsam auf die Suche nach dem verlorenen Paradies machen?

 

Liebe Grüße Isabel

 

 

 

Am Montag folgte ein einstündiges Telefonat mit dem sehr prominenten Herrn. Es wurden KEINE NAMEN ausgetauscht, dennoch wusste ich, wer der Herr Professor war. Er gab sich überheblich, erzählte von den vielen jungen Frauen die ihm >zu Füßen liegen<. Er verabsäumte nicht, all seine Titel zu erwähnen. Auf Grund seiner Stimme schätzte ich ihn auf Anfang Siebzig. Als ich ihn darauf ansprach, gab er sein Alter kleinlaut zu, meinte, im Internet würden alle mit dem Alter mogeln. Seine Status, seine Titel würden bei vielen seiner Studentinnen nicht die Wirkung verfehlen, die Jahre spielten dabei keine Rolle. Es sei leicht, immer wieder junge Mädchen zu verführen. Lieber wären ihm aber erfahrene Frauen bis höchstens Vierzig.

 

Wie abfällig er sich dann über Frauen ab Vierzig äußerte, verschlug mir die Rede. Frauen ab Vierzig seien ungepflegt, unansehnlich, hätten Orangenhaut. Er als Ästhet verabscheut Frauen mit Orangenhaut. Auch sei es das Alter, in dem viele Frauen ihr Selbstwertgefühl am stärksten ausgeprägt hätten, und einem Mann nicht mehr „untertan“ sein wollten.

 

Dann schwärmte er von seinem Liebesnest mit offenem Atrium, Springbrunnen, von seiner exklusiven Kunstsammlung.

 

Ich unterbrach seinen Redeschwall, wollte nicht länger über seine Romanzen mit den Studentinnen hören, geschickt wechselte ich das Thema. Nach einem weiteren halbstündigen Gespräch über Musik, Literatur und bildende Kunst, erhielt ich das Kompliment, er habe selten eine so belesene, kunstinteressierte Frau kennen gelernt. Zur Abwechslung könne er sich durchaus vorstellen, mal eine gebildete 50-jährige wie mich in sein Refugium einzuladen. Denn mit jungen Mädchen könne er nie diskutieren, auch wissen viele nicht, wer Stefan Zweig oder Vivaldi waren. Oft sei er entsetzt über die Bildungslücken der Jugend.

 

Etwa weitere zehn Minuten hörte ich belustigt seinem Balzverhalten und der Selbstbeweihräucherung zu.

 

Als ich mich mit dem Hinweis verabschieden wollte, ich hätte nie gedacht, dass ein so prominenter Mann es notwendig hat, im Internet auf Frauenfang zu gehen, ich jedoch wolle einen höchstens 59-jährigen Liebhaber, keinen Siebzigjährigen, da verlor der Herr Professor die Contenance.

 

Er schrie ins Telefon: Ich befehle Ihnen, mir ihren Namen und Ihre Telefonnummer zu nennen, oder zu mir auf das Institut zu kommen, ich will wissen, mit wem ich hier telefoniere!

 

Ich schwieg belustigt, daraufhin meinte er sehr verunsichert:

 

Sie werden doch hoffentlich keine Kollegin sein?

 

Ich ließ den Herrn Professor, der eine so schlechte Meinung über Frauen ab Vierzig hat, im Unklaren und verabschiedete mich triumphierend aber höflich von ihm, indem ich ihn mit all seinen Titeln und natürlich mit seinem vollen Namen ansprach.

 

Da der Herr nach Luft ringen musste, war das Telefonat beendet.

 

 

 

Nach diesem Gespräch überlegte ich, wie es wohl der Frau an der Seite jenes prominenten Psychiaters ergehen wird?

 

Gehört sie zu jener Generation, die sich über den Mann definiert? Lebt sie in vollkommener Abhängigkeit vom Mann?

 

Warum bleibt sie an seiner Seite als betrogene Ehefrau?

 

Schaffte die Frau den Schritt aus der Verbindung, hätte sie ein Gefühl von Leere und Frustration? Kommt bei ihr das kindliche Gefühl der Angst vor dem Alleinsein hoch, verursacht es gleichgroßen Schmerz wie des Partners ständige Demütigungen und Verletzungen? Ist sie ahnungslos?

 

Oder ist sie eine selbstbewusste Frau, die sich von Männern holt, was sie von ihrem Ehemann nicht bekommt? Hatte auch sie einen Liebhaber?

 

Fragen über Fragen auf die es natürlich keine Antwort geben kann, da ich die Dame nicht kenne. Vielleicht könnte sie selbst diese Fragen gar nicht beantworten.

 

Sind es Gründe wie: Gewohnheit, finanzielle Abhängigkeit, Angst vor dem Alleinsein, das Festhalten an der vielleicht einst großen Liebe.

 

Wer kann je ergründen, was Menschen nach vielen Ehejahren trotz Ehebruchs immer noch aneinanderkettet?

 

Vielleicht ist das Leben nach dreißig oder mehr Ehejahren in einer Villa in einem Nobelbezirk, umgeben von Kunstwerken und ohne finanzielle Sorgen neben einem gebildeten, untreuen Mann auch eine Variante des Glücks?

 

 

Eine verlockende Variante für manche Frauen zweifellos.