© Gerlinde Pauschenwein
Karl, 57, 180 groß, schlank, gut aussehend, so seine Selbstbeschreibung, wünschte keinen Mailkontakt. Auf Grund seiner Position wollte er ein anonymes Treffen. Bei Sympathie könne man Visitenkarten austauschen. Ein Blinde Date? Die Neugier war größer als die Vorsicht. Wieder saß ich im “Griensteidl”.
Karl betrat das Lokal und steuerte zielsicher auf mich zu. Ich war erstaunt, als statt eines dynamischen Mittfünfzigers ein Mann mit hängenden Schultern auf mich zukam. Sein schütteres Haar war weiß, sein Maßanzug teuer.
Er stellte sich nicht vor! Statt dessen sagte er hektisch, er habe nur eine Stunde Zeit. Der Ober brachte zwei Mokka. Ohne Vorwarnung begann Karl vom Rosenkrieg zu erzählen. Die Wut auf seine 30 Jahre jüngere Noch-Ehefrau war vom ersten Satz an spürbar. Er schilderte, wie er die hübsche Russin bei einer Auslandstagung vor sieben Jahren kennen gelernt und ihretwegen seine langjährige Ehe beendet hatte. Er war blind vor Leidenschaft, mit Ende Fünfzig erwachte er zu neuen Höhen.
“Sie sind Mitte Sechzig?”, warf ich ein.
“Ertappt! Bei einem Mann spielen doch ein paar Jahre keine Rolle! Zurück zu Olga!” Er klang sehr bestimmend.
Karls Schultern kippten beim Erzählen immer weiter nach vorne, sein unruhiger Blick, die zittrigen Hände zeugten von großer innerer Anspannung. Keine einzige Frage richtete er in den vierzig Minuten an mich. Es war ein Monolog über Gehässigkeiten, die einen Scheidungsanwalt interessierten. Er legte Fotos auf den Tisch. Gründerzeitvilla, gepflegter Garten, Pool - ein lieber Bub. "Mein Anwalt sagt, ich solle gleich nach der Scheidung eine Beziehung öffentlich machen, um die Obsorge für Ralph zu bekommen. Sie haben einen Sozialberuf, damit sind Sie in der engeren Auswahl. Eine Frau soll nur für meinen Sohn da sein. Ich verdiene ca. 2 Millionen, ich sammle Teppiche und alte Meister.”
“Und welche sozialen Kontakt hat eine Frau neben Ihnen?” fragte ich, obwohl mich der Mann nicht mehr interessierte.
“Soziale Kontakte? Wissen Sie wie viel Energie mich der Job kostet? Millionen gehen täglich über meinen Schreibtisch. “ Karl wirkte verärgert, dann wurde er nachdenklich. “Hm, soziale Kontakte! In meiner Position vereinsamt man, die Luft ist dünn in der Manageretage. Mein letzter sozialer Kontakt war, als ich vor einem Jahr einer gehbehinderten Frau über den Zebrastreifen geholfen habe, obwohl ich in Eile war.”
"Oh, da haben Sie ein gutes Werk getan!”, säuselte ich und wunderte mich über meinen Zynismus. >Sollte ich ihm sagen, dass er mir trotz seiner Millionen leid tut? Er würde mich nicht verstehen<.
Ich blickte auf die Uhr. “Karl, die vereinbarte Stunde ist fast vorbei.” Ich stand auf.
“Sie meinen? Sie wollen nicht…?” Er stand ebenfalls auf. Aus seinem Sakko holte er eine Visitenkarte. “Vielleicht rufen Sie mich doch noch an? Sie strahlen Ruhe aus, das würde meinem Sohn guttun. Sie sollten Ralph kennen lernen. Bitte!” Es klang flehentlich.
“Sie sollten Ralphs Alter im Profil angeben, das erspart Treffs und Frust. Ralph könnte mein Enkel sein. Alles Gute !”
>Wieder dazugelernt! Diese Geschichte wäre Stoff für einen Roman<, dachte ich, als ich leicht verärgert wegen der verlorenen Stunde, in eine Buchhandlung am Graben ging und meinen Frust mit einem Buch von Verena Kast zu mildern suchte.